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Opferschutz: Tipps bei Verdachtsfällen

„Es ist wichtig, Opfern immer wieder klarzumachen, dass ein Ausstieg möglich ist“

Ein Kind wehrt sich mit ausgestreckten Armen (Symbolfoto).

Ein Kind wehrt sich mit ausgestreckten Armen (Symbolfoto).

Frau König, wie kann ich als Laie erkennen, ob jemand Opfer von Gewalt oder Missbrauch ist?

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Evelyn König: Es wäre schön, wenn man das direkt erkennen könnte, das wäre wahrscheinlich schon die Prävention. Aber jeder Mensch geht mit Belastung anders um. Einige haben körperliche oder seelische Symptome, andere sind komplett symptomfrei. Opfer können im Alltag normal funktionieren und nicht auffallen. Die Reaktionen können unterschiedlich sein, aber es gibt Anzeichen.

Auf welche Anzeichen muss ich achten?

Es gibt eindeutige und weniger eindeutige Zeichen, bei Erwachsenen wie Kindern. Deshalb ist es nicht immer leicht zu erkennen, wann es wirklich ernst ist. Wenn ein Verhalten aber auffällig ist, gilt es, genauer hinzuschauen, etwa wenn eine Person besonders ruhig und zurückgezogen ist, aggressives Verhalten zeigt oder sich das Wesen einer Person verändert. Wenn Sie regelmäßig Streit hören oder blaue Flecken wahrnehmen, kann das ebenfalls ein Zeichen sein. Und es gibt ein Handzeichen, das als Hilferuf gilt. Dabei wird die Hand gehoben, die Innenfläche dem Gegenüber zugewendet und der Daumen zur Innenfläche eingeknickt. Ganz langsam wird dann die Hand zu einer Faust geschlossen. Wer das Zeichen gezeigt bekommt, sollte umgehend Hilfe holen.

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Wie gehe ich vor, wenn ich den Verdacht habe, dass jemandem Gewalt angetan wird?

Wenn Sie den Verdacht haben, dass jemand Opfer einer Gewalttat ist, sprechen Sie das vermeintliche Opfer einfühlsam an und fragen nach. Springen Sie über Ihren Schatten und signalisieren Sie: „Ich merke, dass hier etwas passiert, und das möchte ich nicht zulassen.“ Wenn man sich alleine nicht traut, kann man sich Unterstützung bei Nachbarn oder Freunden holen. Am besten ist es, das mögliche Opfer alleine und behutsam anzusprechen und zu zeigen, dass man vertrauenswürdig ist. Es ist wichtig, Opfern immer wieder klarzumachen, dass ein Ausstieg möglich ist, dass sie alles beenden können, dass es professionelle Hilfssysteme gibt.

Was mache ich, wenn die Person alles abstreitet?

Wenn Ausreden kommen wie „Ich habe mich an der Schranktür gestoßen“ oder „Ich bin die Treppe heruntergefallen“, sollte man das erst einmal so aufgreifen. Man kann das Angebot machen, gemeinsam zum Arzt zu gehen und anbieten, zuzuhören. Man sollte Signale setzen, zeigen, dass man an der Seite des vermeintlichen Opfers steht. Es ist auch hilfreich, der Person Kontaktdaten von Hilfestellen an die Hand zu geben und zu sagen, dass Hilfe anonym ist. Wenn Betroffene aber die Hilfe von sich weisen, muss man das respektieren. Man kann dann weiterhin Gespräche anbieten, Flyer mit Hilfsangeboten in den Briefkasten werfen.

Evelyn König ist Sozialpädagogin bei der Opferhilfe Niedersachsen.

Evelyn König ist Sozialpädagogin bei der Opferhilfe Niedersachsen.

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Angenommen, ich bekomme einen schlimmen Streit bei Nachbarn mit. Soll ich eingreifen?

Viele Leute entscheiden sich in gefährlichen Situationen dazu, nichts zu tun. Damit ist niemandem geholfen. Eine Möglichkeit ist, die Gewaltsituation zu unterbrechen. Wenn es im eigenen Haus passiert, kann man unter einem Vorwand klingeln, etwa klassisch nach Zucker oder Mehl fragen. Es muss niemand Kopf und Kragen riskieren, man sollte da auf das Bauchgefühl hören und sich nicht selbst in Gefahr bringen. Für Opfer kann es Auswirkungen haben, wenn man einschreitet und ein Signal sendet. In anderen Situationen kann es helfen, Umstehende aufmerksam zu machen. Oft reicht schon ein lautes Wort, um Täter einzuschüchtern. Für mögliche spätere Zeugenaussagen sollte man sich Tätermerkmale merken.

Worauf soll ich beim ersten Kontakt, beim ersten Ansprechen achten?

Von hoher Bedeutung ist die Reaktion: Je mehr Unterstützung Betroffene erfahren, desto zugänglicher können sie werden. Die erste Hilfe besteht darin, aufmerksam zu sein und zuzuhören, Verständnis und Mitgefühl zu zeigen. Wichtig ist, das Erlebte nicht zu bagatellisieren. Das sind oftmals achtlose Kommentare wie „Das hätte noch schlimmer kommen können“, die Erfahrungen abwerten und Opfer zum Rückzug bringen können.

Welche Rolle spielen Privatpersonen im Hilfsprozess?

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Es gibt eine Lücke zwischen Betroffenen und Einrichtungen und dafür braucht es eine Brücke. Diese Brücke können etwa Nachbarn sein. Viele Betroffene wissen gar nicht, dass es Hilfseinrichtungen wie Hilfetelefon, Frauenhäuser oder Opferhilfe gibt. Hier treffen Betroffene aber auf fachlich qualifizierte Menschen, die ihnen Wege aufzeigen können.

Immer wieder sagen Menschen, dass sie nicht eingreifen wollen, weil sie fürchten, wegen beispielsweise Verleumdung belangt zu werden. Ist da was dran?

Man sollte lieber einmal zu viel als einmal zu wenig die Polizei einschalten. Um sich strafbar zu machen, muss eine Anschuldigung bewusst falsch gemacht werden, man muss also eine Lüge, von der man weiß, dass es eine ist, an Polizei oder Staatsanwaltschaft weitergeben. Einen bloßen Verdacht zu äußern, der sich vielleicht hinterher als falsch herausstellt, ist keine Straftat. Man sollte die Vermutungen nur nicht in der Öffentlichkeit verbreiten, sondern sich direkt an Ermittlungsstellen wenden.

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