Die oder Wir - Proteste vor BMW-Hauptverwaltungsgebäude in München

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Belagerung des Vierzylinders - Aktion der Arbeiter_Innen-Organisation Revolutionäre Front gegen Entlassungen bei BMW
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Klassifizierung

Beitragsart: Gebauter Beitrag
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Wirtschaft/Soziales, Arbeitswelt
Entstehung

AutorInnen: Petra Kellner und Fabian Ekstedt
Radio: LoraMuc, München im www
Produktionsdatum: 22.07.2020
Folgender Teil steht als Podcast nicht zur Verfügung
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Moderation BMW

Belagerung des Vierzylinders - Aktion der Arbeiter_Innen-Organisation Revolutionäre Rote Front gegen Entlassungen bei BMW

Vor gut einem Monat hatte BMW verkündet, sich von 6.000 Mitarbeiter_Innen der Stammbelegschaft zu trennen bis Ende 2021. Die Gründe liegen in der Corona-Krise und in der daran anschließenden Rezession. Das zugehörige Maßnahmen-Paket ist mit dem Betriebsrat vereinbart, soll ohne betriebsbedingte Kündigungen auskommen und ist relativ gut finanziell abgefedert, so steht zu vermuten. Man will frei werdende Stellen nicht nachbesetzen, Arbeitnehmer_Innen den vorgezogenen Renteneintritt mit Abfindungen nahebringen und die Wochenarbeitszeit der Verbleibenden von 40 auf 38 Stunden verkürzen. Zudem soll bei Auszubildenden nicht gespart werden. Mitarbeiter_Innen unter 25 Jahren sollen finanziell unterstützt werden, wenn sie ein Vollzeit-Studium oder ähnliches machen wollen. So weit, so, naja, ganz gut. Ganz anders sieht es für die 10.000 Leiharbeiter_Innen aus, deren Verträge nunmehr nicht verlängert werden sollen, wie das österreichische Industriemagazin am selben Tag, das war der 19. Juni, mit Berufung auf „eine mit der Sache vertraute Person der Nachrichtenagentur Reuters sagte. Dazu äußerte sich BMW nicht“, wie es dort hieß.

In diesem Zusammenhang führte die Arbeiter_Innen-Organisation Revolutionäre Rote Front München, die sich aus Kolleg_Innen aus verschiedenen Münchner Betrieben und Dienststellen zusammensetzt, am vergangenen Montag, den 20. Juli, eine Belagerung des BMW-Vierzylinders am Mittleren Ring durch. Etwa 30 bis 40 Aktivist_Innen sammelten sich zum nachmittäglichen Schichtwechsel vor dem Eingang gegenüber dem BMW-Produktions-Werk, mit Fahnen, Bannern, einer Bläser-Gruppe, Informations-Ständen und einem Kleinlaster mit offener Ladefläche, die als Rednertribühne fungierte. Als die ersten Busse aus verschiedenen Münchner Vierteln, aber auch von anderen BMW Standorten ankamen, begannen die Demonstrant_Innen mit Sprechchören und einer Abfolge von kurzen Reden im Wechsel mit Arbeiter- und Protest-Liedern die BMW-Beschäftigten über Organisations-Möglichkeiten aufzuklären und Beteiligung bei den Aktionen der Revolutionären Rote Front anzubieten. Hören wir hier zwei der Reden, den Streikaufruf und einige Stimmen der BMW-Beschäftigten:

[Rede2 BMW Kollege Regensburg_01 min 21 sec.mp3]
[Rede5 ESR Kollege Ottobrunn und Streikaufruf_03 min 04 sec.mp3]
[BMW Arbeiter1_00 min 11 sec.mp3]
[BMW Arbeiter2_00 min 27 sec.mp3]

Nicht nur in der Fleisch-Industrie, nein, auch in der Automobil-Branche wird extensiv mit Werkverträgen und Leiharbeit gearbeitet. So stellte zum Beispiel die Wirtschaftswoche im Jahr 2016 bei den BMW- und Porsche-Werken in Leipzig fest, dass die Stamm-Belegschaft nur 46 Prozent ausmacht. Zudem unterteilt sich der große Rest in drei weitere Kategorien: Stammbelegschaft der Werkvertragsfirmen, sodann Leiharbeitnehmer_Innen bei BMW und Porsche und schließlich sogar noch Leiharbeitnehmer_Innen bei Werkvertragsfirmen. Ein Unwesen, das seit Jahrzehnten auf- und ausgebaut wurde in allen möglichen Branchen der Bundesrepublik. Die Grenzen zwischen legaler und verdeckter Leiharbeit sind dabei fließend und schwer kontrollierbar. Die Folgen für die Arbeitnehmer_Innen beschreibt ein Sprecher der IG Metall in einem wenige Tage alten Artikel im Web-Portal Labournet so: »In der jetzigen Form führen Werkverträge und Leiharbeit zur Spaltung von Belegschaften in den Unternehmen und zu Mehr-Klassen-Gesellschaften in den Betrieben«. Und weiter heißt es dort: „Das bedroht auch die Stammbeschäftigten. Nicht nur, weil abgesicherte Arbeitsplätze verdrängt werden, sondern auch, weil die Mitbestimmung in mehrfacher Hinsicht ausgehöhlt wird: Je weniger Stammbeschäftigte, desto kleiner und weniger schlagkräftig der Betriebsrat, selbst wenn insgesamt die Zahl der Beschäftigten in einem Betrieb sogar gestiegen sein sollte. Zugleich sehen sich Betriebsräte mit der ständigen Drohung der Chefs erpresst, Werkvertragsbeziehungen auszuweiten, sollten sie sich irgendwo quer stellen“.

In diesem Sinne wurden Stamm- und Leiharbeiterschaft gleichermaßen angesprochen und zum Mitmachen bei der Belagerung aufgefordert. Auf dem Höhepunkt der Veranstaltung wurde der Eingang des BMW-Bürogebäudes mit dem markanten Vierzylinder-Look durch eine Sitzblockade der Aktivist_Innen abgeriegelt. Niemand konnte rein oder raus. Niemand? Zwei Personen aus der Gruppe hatten sich, weitgehend unbemerkt, den Weg ins Gebäude und hinauf auf eine Galerie im ersten oder zweiten Stock errungen, wo sie ein Plakat entrollten, auf dem mit weißer Schrift auf rotem Grund die Worte standen: „Die oder wir“. Das bezog sich auf das Motto der Veranstaltung: „Die Arbeiter bleiben – entlassen wird: Quandt, Klatten und Co!“. Der Gedanke dahinter war die Diskrepanz zwischen den 16.000 Entlassungen und der Tatsache, dass BMW trotz Rezession eine Dividende von, wie es im Veranstaltungsflyer hieß, 1,6 Milliarden Euro auszahle. Das könnte sich auf die BMW-Haupt-Versammlung im Mai 2020 bezogen haben, auf der eine Ausschüttung von 2,5 Euro pro Stammaktie beschlossen worden war.

Das herausfordernde Banner blieb denn auch nicht lange unbemerkt, so dass sich BMW-Manager bei der Polizei beschwerten und einen Hausfriedens-Bruch anzeigten. Die Polizei verlangte daraufhin die Entfernung des Banners und der Personen aus dem BMW-Gebäude:

[BMW Szene Hausfriedensbruch_01 min 08 sec.mp3]
[BMW Atmo Fabian und 3 O-Töne_01 min 55 sec.mp3]

Zu den Forderungen der Arbeiter_Innen-Organisation gehörte der Ruf nach „6 Stunden, 5 Tage, voller Lohn“. Gemeint ist dabei eine Verkürzung der Arbeitszeit für alle statt der verkündeten Entlassungen. Darauf bezog sich der Einwand des BMW-Mitarbeiters, den wir eben hörten. Viele der BMW-Kolleg_Innen wollten nicht mit uns sprechen und manch einer äußerte sich nur bei abgeschaltetem Mikrofon. So wie die Kollegen, die die ganze Aktion mit äußerst breitem Grinsen verfolgten und uns off the record sagten, dass sie die Aktion gerechtfertigt finden, denn die Vorgänge im BMW-Betrieb beruhten auf Ungerechtigkeit und Ausbeutung. Auch nach 30 Jahren bei BMW sei es immer nur eine Kleinigkeit, die sie von der Entlassung trenne. Zu den Zielen der Aktion äußerte sich ein Kollege, der bei den Münchner Stadtwerken bzw. Verkehrsbetrieben beschäftigt ist:

[BMW Kollege SWM-MVG_00 min 30 sec.mp3]

Nachdem auf der Galerie ein Gezerre mehrerer Personen um das provokante Banner ablief und ein Aktivist vorübergehend verhaften wurde, räumten die Aktivisten schließlich das Gebäude. Danach ging die Aktion sehr zügig zu Ende:

[BMW Atmo Petra zum Abschluss_00 min 43 sec.mp3]

Das war unser Bericht von der Belagerung des Vierzylinders, einer Aktion der Arbeiter_Innen-Organisation Revolutionäre Front gegen die Entlassungen bei BMW.